Menschen lieben Schubladen, denn wenn etwas eingeordnet ist, dann stört es nicht. Das scheint bei dem Thema Aggression und Rasse auch so zu sein. Es gibt seit vielen Jahren die Bestrebung, das Aggressionspotential, beziehungsweise die „Gefährlichkeit“, an der Genetik, sprich Rasse festzumachen. Um diesen Nachweis zu erbringen sind Studien finanziert worden, die neueren davon liefern spannende Ergebnisse. Das mit dem Einordnen wird wohl nichts, denn – auch wenn Genetik Verhaltensweisen verstärken kann, sie ist kein passendes Erklärmodell für die Häufigkeit von Hundebissen. Einen „Minority Report“ darf man sich also nicht erwarten. Aggression und Rasse sind keine Erklärung für hündisches Fehlverhalten.

LINK zur Studie IM BILD

Eine Studie unterstellt „Lassie“ der bissigste Hund zu sein

Eine Studie in Nature untersucht welche Faktoren aggressives Verhalten von Hunden beeinflussen und welche Rassen am häufigsten ihre Zähne einsetzen. Top on the List ist überraschenderweise der Collie, gefolgt von Zwergpudel und Zwergschnauzer. Von „Lassie“ hatte man bisher eigentlich ein anderes Bild, wenn schon, dann hätte man „Kommissar Rex“ oder einen der gelisteten üblichen Verdächtigen am Siegerpodest erwartet – aber Lassie?

Man sollte die Studie trotzdem lesen

Im Titel der Studie geht es nicht um den Collie, es geht darum, dass Faktoren wie: – Wo ist der Hund zu Hause? Wie ist seine Umwelt beschaffen? Wie wird er gehalten und erzogen? – mindestens so eine wichtige Rolle spielen, wie die Größe oder Genetik des Hundes. Mittels Online Fragebogen wurden 9270 finnische Haushunde in die Studie einbezogen, 53% Hündinnen, 47% Rüden. Die Variablen die untersucht wurden waren: Alter, Geschlecht, Angstverhalten, Rasse, Familienhund ja oder nein, Größe des Hundes und Hundeerfahrung des Besitzers.

Aggressives Verhalten wird durch demografische, ökologische und Verhaltensfaktoren bei reinrassigen Hunden beeinflusst

Mikkola, S., Salonen, M., Puurunen, J. et al. Aggressives Verhalten wird durch demografische, ökologische und Verhaltensfaktoren bei reinrassigen Hunden beeinflusst. Sci Rep 11, 9433 (2021). https://doi.org/10.1038/s41598-021-88793-5

Die positiven Korrelationen mit aggressiven Verhalten sind wenig überraschend. Bei älteren Hunden, Rüden, kleineren Hunden und ängstlichen Hunde ist die Wahrscheinlichkeit am größten, dass sie aggressives Verhalten zeigen. Dominierender Faktor laut Studie ist die Angst. Bei hochängstlichen Hunden war die Wahrscheinlichkeit, dass sie aggressives Verhalten zeigen, etwa fünfmal höher als bei nicht ängstlichen Hunden. Spannend sind dagegen diese Erkenntnisse: Hunde, die ohne andere Hunde im Haushalt lebten und Hunde von Ersthundebesitzern legen mit einer höheren Wahrscheinlichkeit aggressives Verhaltens an den Tag.

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Es gibt eine weitere Studie aus Finnland die man ebenfalls lesen sollte

Die aktuelle Studie aus 2021 baut auf der Studie Prävalenz, „Komorbidität und RasseUnterschiede in Hundeangst bei 13.700 finnischen Haustierhunden“ auf. Daher ist es gut, wenn man beide Studien gelesen hat. In der 2020 Studie geht es um Verhaltensauffälligkeiten bei Hunden und laut Studie sind fast drei Viertel aller Vierbeiner betroffen. Allerdings spielt in dieser Studie die Genetik eine größere Rolle, denn es gibt große Unterschiede zwischen den Rassen. Das bedeutet aber nicht, dass Aggression und Rasse ein Erklärungsmodell für hündisches Fehlverhalten wären.

Prävalenz, Komorbidität und Rasse – Unterschiede in der Hundeangst bei 13.700 finnischen Haustierhunden

Salonen, M., Sulkama, S., Mikkola, S. et al. Prävalenz, Komorbidität und Rasse Unterschiede in Hundeangst bei 13.700 finnischen Haustierhunden. Sci Rep 10, 2962 (2020). https://doi.org/10.1038/s41598-020-59837-z

Bei der Studie 2020 wurde nach Verhaltensstörungen gefragt, die Hunde bekanntlich oft betreffen: Geräuschempfindlichkeit, Angst, Angst vor Oberflächen, Impulsivität/mangelnde Aufmerksamkeit, Zwangsverhalten, Aggressionen und Trennungsängste. Die Auswertung zeigte: 72,5 Prozent aller Tiere sind von mindestens einer der sieben Auffälligkeiten betroffen. 32 Prozent sind geräuschempfindlich; 29 Prozent haben Ängste, vor anderen Hunden (17 Prozent), vor Fremden (15 Prozent) und neuen Situationen (11 Prozent). Vergleichsweise seltener sind Aggressionen (14 Prozent) und Trennungsängste (5 Prozent). Viele Tiere sind gleich doppelt und mehrfach betroffen: Z.B. sind ängstliche Hunde häufig auch aggressiv, impulsiv und geräuschempfindlich. Es gibt auch Geschlechtsunterschiede: Weibchen sind eher ängstlich, Männchen aggressiv. Viele Störungen verstärken sich im Alter noch.

Die Zucht kann Hunden helfen indem sie richtig selektiert

Bei dieser Studie spielt die Genetik eine Rolle

Laut den Forscherinnen und Forschern dürften die Verhaltensauffälligkeiten auch mit den Rassen zu tun haben. Denn zwischen denen gebe es recht große Unterschiede. Zum Beispiel beim Zwangsverhalten finden sich rassetypische Eigenheiten. So jagen fast zehn Prozent aller Staffordshire Bullterrier ihrem eigenen Schwanz hinterher. Border Collies hingegen starren häufig und schnappen nach Fliegen. Das könnte etwas mit ihren Aufgaben zu tun haben und bekanntlich selektiert man Rassehunde per Zucht so, dass sie ihre Aufgaben bestens ausführen.

Die Eigenheiten bestimmter Rassen müssen aber nicht immer die Ursache der Probleme sein, schreibt das Team. So leiden etwa Mischlingshunde besonders häufig unter Trennungsängsten: Lässt man sie allein zuhause, pinkeln sie auf den Boden oder zerstören etwas. Das könnte an schlechten Erfahrungen liegen. Denn viele Mischlinge stammen aus Tierheimen, auch in diesem Datensatz.

Selektion kann Vor-und Nachteile haben

Dennoch vermuten die Studienautorinnen, dass der größere Teil der Störungen genetische Ursachen hat. Gezielte Zucht könnte die Häufigkeit von manchen Auffälligkeiten vielleicht senken. In manchen Fällen sei das allerdings schwierig, da einige Eigenschaften genetische Gemeinsamkeiten haben. Ein Beispiel sei der deutsche Schäferhund: Jene Region im Erbgut, die mit Geräuschempfindlichkeit zu tun hat, dürfte auch am sozialen Verhalten der Tiere beteiligt sein. Das Ergebnis: die Wachhunde hören nicht nur gut, sie sind auch besonders lärmempfindlich. Die Studie fand heraus, dass die Lärmempfindlichkeit die häufigste Angsteigenschaft mit einer Prävalenz von 32% bei 13.700 finnischen Haustierhunden ist.

Die Erkenntnis aufgrund der Finnischen Studien

Haltungsbedingungen und Zucht spielen eine große Rolle wie sich Hunde ihrer Umgebung gegenüber verhalten. Nur die Genetik funktioniert nicht so, wie der kleine Maxi sich das vorstellt. Denn die Zucht kann Anlagen verstärken oder abschwächen aber sie kann nicht eine isolierte Verhaltensweise kreieren. Auf gut Deutsch: man züchtet keinen bissigen Hund, man züchtet vielleicht einen Hund, wo aufgrund der Kombination von erbbedingten Veranlagungen, die eine oder andere Verhaltensweise gefördert wird. Aber erst wenn Veranlagung auf Umwelt trifft, kann es zu Problemen kommen. Der hellhörige Schäferhund als Wachhund ist kein Problem per se, erst als hellhöriger unterbeschäftigter Familienhund kann er ein Problemhund werden. Die „Gefährlichkeit“ eines Hundes ergibt sich nicht aus Aggression und Rasse sondern immer aus mehreren Faktoren.

Aggression und Rasse sind keine geeignete Erklärung für Hundebisse

Vom Gesetzgeber bis zum Hundehalter ist die Versuchung groß, die Gefährlichkeit eines Hundes an der Rasse oder an der Größe festzumachen. Genau das funktioniert nicht. Das belegt übrigens auch eine Studie aus Irland aber die besprechen wir in einem gesonderten Artikel. Ob ein Hund beißt hängt davon ab, wie groß sein Problemrucksack ist und wie gut sein Mensch das managen kann. Im Rucksack können Dinge wie: genetische Defekte, epigenetische Probleme, negative Vorgeschichte und dergleichen sein, das kann einen Hund schwierig machen. Allerdings hängt es letztlich davon ab, wie gut sein Zweibeiner darüber Bescheid weiß und wie gut er damit umgehen kann.

Ihr Hund hat nur Sie

Was sollte man aus den beiden finnischen Studien mitnehmen?

Begegnen Sie ihrem Hund unvoreingenommen, weder die Rasse, noch die Herkunft bestimmt was er tut, Sie als Hundehalter tun das. Es liegt an Ihnen wie der Hund mit seiner Umwelt umgeht. Sie haben es in der Hand seinen Stress zu minimieren und nur Sie können ihm helfen seine Angst zu bewältigen. Angst ist, laut Studien, der Trigger Nummer Eins warum ein Hund zubeißt. Sie müssen ihren Hund lesen können und ihn verstehen, er ist ihr Teampartner, er hat nur Sie. Wenn Sie Ersthundehalter sind, dann lernen und spüren Sie was das Zeug hält, jeder Fehler den Sie machen gräbt sich tief im Gedächtnis ihres Hundes ein. Sie sind seine Welt und an Ihnen wird er sich orientieren. Wenn Sie schon den zehnten Hund haben, dann lernen sie jeden Tag noch ein Stück dazu, der Hund wird es Ihnen danken. Je mehr Sie als Hundehalter können umso leichter hat es ihr Hund unbeschwert durchs Leben zu gehen. Das wollen Sie doch – Sie lieben ja ihren Hund…

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