Ein Kommentar von: Rosa Hackl

Warum polarisiert ein Hundebiss? – Ganz einfach: Geht es um das Thema „Hund beißt zu“ entsteht schnell eine Debatte um die „Schuld“. Besonders dann, wenn Kinder involviert sind. Dabei kann die „Schuld“ nur ein Gericht feststellen, was es in solchen Fällen auch tut, denn ein Hundebiss ist, wenn ein Mensch als Opfer involviert ist, immer eine Körperverletzung. Beißt ein Hund einen anderen Hund, dann ist das „nur“ Sachbeschädigung, die für den vierbeinigen Täter allerdings Auflagen bedeuten kann. Werden Bissmeldungen von Zeitungen in den Sozialen Medien gepostet, entzündet sich darunter oft eine heftige Debatte. In der Alltagsdiskussion wird dann meistens gestritten ob der Hund oder das Opfer schuld hat, der Hundehalter oder vielleicht alle drei. Dabei bringt eine Schulddebatte wenig. Besser wäre aus solchen Unfällen zu lernen und das Gelernte in Aufklärung zu verpacken – aber das passiert selten.

Warum polarisiert ein Hundebiss vor allem dann, wenn es um Kinder geht?

Ein junger Schäferhund beißt zu

Die Polizeimeldungen, durch die Bissvorfälle meist an die Öffentlichkeit kommen, liefern oft zu wenig Information um einen solchen Fall zu beurteilen. Das mag daran liegen, dass die Polizei gar nicht daran denkt, dass Leser solche Vorfälle beurteilen wollen oder sollen. Muss sie auch nicht, denn Zeitungsleser sind keine Richter. Kürzlich wurde von der Schweizer Polizei eine Meldung veröffentlicht, die etwas mehr Einblick in ein Biss-Geschehen vermittelt: „Um 18.45 Uhr am frühen Sonntagabend des 05.September, .2021 büxte in Schleitheim ein 9-monatiger Schäferhund aus und folgte einer spielenden Kinderschar. Auf dem Schulhofplatz biss der Rüde anschließend mehrmals auf ein Kickboard, das ein 9-jähriges Mädchen mitführte, ein. Als das Mädchen in der Folge das Kickboard in Sicherheit bringen wollte und auf das Torgehäuse legte, griff der Hund das Kind an, bevor herbeigerufene Erwachsen den Hund vertreiben konnten. Das Mädchen wurde durch mehrere Hundebisse schwer verletzt und musste mit einem Rettungshelikopter ins Spital geflogen werden.“

LINK zum Text im BILD

Die Diskussion zum Text „Schäferhund beißt zu“ ist exemplarisch für solche Debatten

Warum polarisiert ein Hundebiss? Unter anderem weil es um das falsche Thema geht. Es geht um „Schuld“ und manchmal auch um Sühne. Unter derartigen Polizeimeldung entbrennt schnell eine Debatte um die „Schuld“: Die eine Fraktion ist der Meinung der Hund ist „schuld“ und sollte so schnell wie möglich eingeschläfert werden, weil er ja nicht ganz klar im Kopf sein kann, wenn er ein Kind beißt. Die andere Fraktion sieht dagegen den Hund als Opfer seiner Triebe und das Biss-Opfer, in diesem Fall ein 9-jähriges Mädchen, als Auslöser der ganzen Misere. Beim Hundehalter sind sich wenigstens alle einig – der hat die Aufsichtspflicht verletzt und ist daher ganz bestimmt dafür verantwortlich. Es ist also vermutlich ein Segen, dass Gerichte die „Schuldfrage“ klären und nicht die Leser einer Zeitschrift.

Weder Kinder noch Hunde sind schuldfähig

So sieht es der Gesetzgeber jedenfalls und er hat damit recht, denn beiden fehlt, wenn auch auf verschiedene Art, die geistige Reife dafür. Studie belegen zudem, dass Kinder Hunde nicht lesen können und sehr oft fehlinterpretieren. Tiere wiederum haben keinen moralischen Kompass im menschlichen Sinne. Ihr Handeln wird von Reiz und Reaktion bestimmt, jedenfalls wenn ihr Zweibeiner das nicht anders reguliert. Daher ist es gut wenn Hunde ihr Leben lang und Kinder wenigstens bis zu einem gewissen Alter unter der Aufsicht von Erwachsenen stehen. Im Fall des Straßenverkehrs sieht der Gesetzgeber das genau so. In Deutschland haften Kinder bis zum vollendeten siebten Lebensjahr nicht. Ab dem zehnten Lebensjahr richtet sich die Haftung nach der Einsichtsfähigkeit. Zum Beispiel: Sind Kinder unter zehn Jahren unterwegs und kommt es zu einem Verkehrsunfall im Fließverkehr, kann eine Haftung der aufsichtspflichtigen Person eintreten. Das können die Eltern, aber auch Lehrer auf einem Schulausflug sein.

Man soll Hunde nicht vermenschlichen

Wenn ein Hund zubeißt ist prinzipiell immer der Hundehalter schuld

Hundehalter haben 24/7/365 die Pflicht ihren Hund so zu verwahren oder zu kontrollieren, dass er keine Schäden an seiner Umwelt anrichten kann. Daher kann man davon ausgehen, dass im Fall eines Hundebisses entweder die Aufsichtspflicht oder die Kontrollpflicht vernachlässigt wurde. Ein Gericht stellt anschließend fest ob das fahrlässig war oder nicht. Grob gesagt, wenn ein Hundehalter vergisst die Tür zu schließen oder weiß, dass er im Zaun ein großes Loch hat, dann wird ein Richter das als grob fahrlässig einstufen, wenn sein Vierbeiner ausbüxt. Wenn ein Hundehalter einen nicht abrufbaren Hund von der Leine lässt und dieser davonsaust, dann vermutlich auch – grob fahrlässig. Beißt ein Hund im unkontrollierten Freilauf zu, ist das jedenfalls Körperverletzung oder Sachbeschädigung, abhängig davon ob das Bissopfer zwei oder vier Beine hat. Bei einer Gerichtsverhandlung wird aufgrund aller Faktoren die zum Unfall beigetragen haben, erschwerende oder entlastende, entschieden. Schuldig ist der Hundehalter aber immer.

Warum geht es um „Schuld“ statt Aufklärung?

Extreme Meinungen sagen meiste mehr über die Person aus die sie vertritt als über die Sache an sich. Manche Menschen machen sich Sorgen, dass solche Vorfälle ihre Position als Hundehalter verkompliziert. Sie befürchten strengere Gesetze. Daher sind sie sauer. Die einen auf den Hund, die anderen auf den Hundehalter, manche auch auf beide. Für viele Hundehalter ist es aber auch einfach unvorstellbar, dass ein „normaler“ Hund so etwas tut. Diese Annahme kann aus der Vermenschlichung des Hundes entstehen oder aber auch aus dem Glauben eine 100%ige Kontrolle ausüben zu können. Diese Fraktion argumentiert häufig damit, dass der Hund „nicht klar im Kopf“ wäre oder aus einer schlechten Verpaarung stammen müsse. Häufig fordern solche Menschen, dass der Hund euthanasiert werden soll. Andere wieder erwarten, dass Eltern oder Kinder solche Vorfälle vermeiden und vergessen dabei darauf, dass Menschen die nicht mit Hunden leben meist wenig über Vierbeiner wissen.

Das ist Beute und jeder Hund hat den Beutetrieb

Die Empörung als Ventil

Warum polarisiert ein Hundebiss – unter anderem weil es darum geht sich zu empören. Empörung über etwas ist meist ein Ventil für den eigenen Frust. Natürlich ist es für jeden Hundehalter frustrierend, wenn ein Bissvorfall passiert. Auch wenn man selbst nichts dafür kann, als Hundehalter ist man irgendwie betroffen. Diese Betroffenheit führt zu teils eigenwilligen Kommentaren. Denn wenn eine angebliche Hundetrainerin schreibt, dass der Hund weggehört weil für solche Hunde kein Platz in der Gesellschaft ist, dann fragt man sich schon. Scheinbar hat die Frau das in einer ruhigen Minute erkannt und ihren Kommentar wieder gelöscht. Denn selbst die karge Polizeimeldung gibt so viel Information her, dass man bei diesem Bissvorfall nicht von einer gefährlichen Bestie ausgehen kann. Vielmehr ist der Fall mit einem pubertierenden Junghund passiert. Der Deutsche Schäferhund, der zugebissen hat ist gerade einmal 9-Monate alt.

Den Beutetrieb kann man fördern oder dämpfen

Ein Problem sind die Bilder im Kopf

Warum polarisiert ein Hundebiss? Weil oft die Bilder im Kopf nicht mit der Realität übereinstimmen. Wenn jemand Folgendes liest: “ Das Mädchen wurde durch mehrere Hundebisse schwer verletzt und musste mit einem Rettungshelikopter ins Spital geflogen werden„, dann entstehen Bilder im Kopf. Meistens sind die schlimmer als die Realität. Vor dem geistigen Auge läuft ein Film ab in dem ein Hund mit echter Beschädigungsabsicht der Hauptdarsteller ist. Das ist meist nicht der Fall. Kinder sind verletzlich und aufgrund ihrer Größe oft im Gesichtsbereich verletzt. Auch wenn ein Hund sich nur Distanz verschaffen möchte, können daher schwere Verletzungen entstehen. Das bedeutet aber nicht, dass es sich automatisch um einen gefährlichen Hund handeln muss. Es bedeutet vielmehr, dass alle Hundehalter sich Gedanken machen müssen, denn die meisten Bisse gegen Kinder passieren im familiären Umfeld – mit Familienhunden.

Die meisten Bisse passieren mit ganz „normalen“ Hunden

Ein Hundehalter muss zwischen „Ressource“ und „Beute“ unterscheiden können

Wenn der junge Schäferhund nicht mit den in der Polizeimeldung beschrieben „Kickboard“ auf den Schulhof „geradelt“ ist, dann war der Beutetrieb seine Motivation. Um die Verteidigung einer Ressource hätte es sich nur dann gehandelt, wenn der Hund im Besitz des Kickboards gewesen wäre. Überspitzt gesagt – der Junghund war im Beutetrieb und das Mädchen hat seine Ressource verteidigt. Warum es wichtig ist den Unterschied zu kennen? Ganz einfach – weil, neben Angst, der Beutetrieb und Ressourcenverteidigung die häufigsten Auslöser für einen Biss sind. Genau da muss die Aufklärung ansetzen, denn Hundehalter müssen ihre Vierbeiner so erziehen, dass diese auslösenden Faktoren unter Kontrolle sind. Wenn ein Skater vorbeizischt und der Hund diesen von den Rollen holt, ist es zu spät damit anzufangen.

Dieser Ball ist eine Ressource

Aufklärung brauchen alle – nicht nur die Hundehalter

Wer sagt: „Hundelose Menschen müssen nichts über Hunde wissen“ – der liegt falsch. Der Fall aus der Schweiz belegt das eindrücklich. Denn eine der Eigenschaften von Unfällen ist, dass sie passieren weil eine unvorhersehbare Situation eintritt. In dem Fall war einfach kein Hundehalter da, der den Hund kontrolliert hat. Das ist falsch, das ist verboten, das wird bestraft aber es passiert. Daher ist es, so es um die Vermeidung von solchen Unfällen gehen soll, von Vorteil, wenn auch Kinder und Hundelose Menschen ein Grundwissen haben. Es gibt übrigens sehr erfolgreiche Schulprojekte, die genau das umsetzen. Denn wenn eine Situation eintritt, die laut Gesetz gar nicht eintreten darf, dann macht dieses Wissen den Unterschied. Bezogen auf den Beispielfall – hätte das Mädchen den Hund ihr Kickboard überlassen und sich langsam entfernt, dann wäre diese Polizeimeldung vermutlich nie geschrieben worden. Das bedeutet nicht, dass das Mädchen „Schuld“ hat sondern nur, dass Aufklärung helfen kann.

Warum polarisiert ein Hundebiss? Weil oft die realistische Sicht auf den Hund fehlt.

Meiner tut sowas nicht und mir passiert das nie

Dieser Gedankengang führt zu vielen Unfällen. Denn, wer das im Kopf hat unterschätzt seinen Hund und überschätzt die eigene Unfehlbarkeit. Bei den meisten Bissvorfällen sind ganz normale Hunde und ganz normale Hundehalter involviert. Auch bei Verkehrsunfällen sind es nicht die „Fast an Furios“ die für Unfälle sorgen. Es sind völlig normale Autofahrer, die einen Fehler machen. Eine Faustregel gibt es allerdings schon: Je weniger ein Hundehalter weiß und kann, umso wahrscheinlicher ist, dass er einen Unfall mit Hund verursacht. Wer sich nun Fragt: Warum polarisiert ein Hundebiss so sehr? Unter anderem weil man zwar nicht davon ausgeht, dass man selbst diese Erfahrung macht aber gleichzeitig Angst davor hat, dass es trotzdem passiert.

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